Heiko Böhmer: Unternehmensgewinne - noch viel Luft nach unten

Heiko Böhmer · Uhr
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Nun ist es klar: Die US-Notenbank Fed wird den Kurs der Zinsanhebungen weiter fortsetzen. Der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht gewonnen. Fed-Chairman Jerome Powell hat das vor wenigen Tagen auf dem Notenbank-Treffen in Jackson Hole deutlich gemacht. Diese klare Fortsetzung der eingeschlagenen Strategie der Notenbank hat die Aktienmärkte geschockt – obwohl es nicht wirklich überraschend ist.

Tatsächlich hatten wohl viele Marktteilnehmer von Jerome Powell Signale für ein bevorstehendes Ende der Zinserhöhungen erwartet. Doch nun bleibt die US-Notenbank erst einmal konsequent. Das schafft Klarheit – sorgt aber gleichzeitig auch für Ernüchterung.

Also lohnt es sich jetzt auf andere Faktoren als die Notenbankpolitik zu schauen. Hier rücken ganz klar die Gewinnerwartungen der Unternehmen in den Fokus. In vielen Sektoren bilden die Gewinnerwartungen noch nicht die angespannte Konjunkturlage ab - dazu später mehr.

Im Rückblick auf das erste Halbjahr 2022 fällt eine Tatsache ganz klar auf: Der Großteil der Verluste ist mit der Erhöhung der Zinsen und dem Zurückfahren der Liquidität zu erklären. Nach der nun vorliegenden Ansage der Fed diesen Kurs fortzusetzen, rücken nun die Erwartungen für die Unternehmensgewinne in den kommenden 12 Monate in den Mittelpunkt. Daher gilt hier: Investoren sollten in den kommenden Wochen ganz genau schauen, was bei den Gewinnerwartungen passiert.

Historisch betrachtet kommen wir zudem in eine sehr wichtige Phase für die Gewinnerwartungen. Das laufende dritte Quartal endet in wenigen Wochen. Ab Mitte Oktober kommen dann die Ergebnisse für das Quartal und die angepassten Schätzungen. Tatsächlich wird es in diesem Jahr besonders spannend, denn dann wird sich noch deutlicher zeigen, wie massiv sich die immer noch überdurchschnittliche Inflation in den Margen der Unternehmen niederschlägt. Gleichzeitig können die Preissteigerungen bei vielen Produkten und Dienstleistungen auch zu einer schwächeren Nachfrage führen.

Noch keine signifikanten Revisionen bei den Unternehmensgewinnen

Bislang hat es noch keine signifikanten Absenkungen bei den Unternehmensgewinnen gegeben. Hier ist noch viel Luft nach unten. Und das sollte dann auch ein klareres Bild zur aktuellen Bewertung an den Börsen geben. Beispiel DAX: Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt für den deutschen Leitindex bei 11. Noch Anfang des Jahres lag der Vergleichswert bei rund 14.

Wie sieht es mit den Gewinnschätzungen im DAX aus? Tatsächlich erwarten die Analysten im Konsens eine durchschnittliche Gewinnmarge von 7,7 Prozent. Das bedeutet konkret: Von 100 Euro Umsatz sollen 7,70 Euro als Gewinn übrigbleiben. Im langfristigen Vergleich ist das ein hoher Wert. So liegt der durchschnittliche Gewinn der vergangenen 20 Jahre nur bei 4,5 Prozent. Bei den vielen Belastungen ist es nun gut möglich, dass sich die Gewinne doch eher dem langfristigen Durchschnitt annähern. Sollte das so kommen, würde die Bewertung des deutschen Leitindexes von einem offensichtlich niedrigen Wert von 11 doch eher auf 18 ansteigen und läge dann deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 13.

Dieser kleine Blick auf den DAX macht doch deutlich, wie entscheidend für die Beurteilung der Finanzmärkte die aktuellen Gewinnschätzungen sind. Hier lauert noch viel Überraschungspotenzial für die Märkte. Energie ist dabei der maßgebliche Faktor. Bei der Analyse der Unternehmen muss der Einfluss der hohen Energiepreise auf die Ertragskraft klar im Fokus stehen. Das ist dann der direkte Effekt dieser zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer zu kalkulierbaren Entwicklung.

Hohe Energiepreise belasten die Unternehmen und die Verbraucher

Indirekt werden die Energiepreise sicherlich den Konsum der meisten Bundesbürger hemmen. Kostspielige Reisen oder die Anschaffung eines neuen Autos werden tendenziell erst einmal verschoben – wenn nicht klar ist, wie hoch denn wirklich die Extra-Belastung durch die hohen Energiepreise sein wird.

Die hohen Füllstände der Gasspeicher machen zum jetzigen Zeitpunkt immerhin Hoffnung, dass die Versorgung im kommenden Winter selbst in Extremsituationen sichergestellt sein wird. Aber welchen Preis wir alle dafür zahlen müssen, ist noch völlig unklar. Und wenn in diesen Tagen der Gasversorger Uniper schon den ersten Kreditrahmen von 9 Milliarden Euro komplett ausgeschöpft hat und jetzt schnell weitere Kredite von 4 Milliarden Euro benötigt, ist das kein gutes Zeichen für die Gesamtentwicklung. 

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